Wühlen im Untergrund

Sowas wie Weisheit war es wohl noch nicht, aber kleine Erkenntnisse waren wohl schon dabei, wenn auch irgendwie schmerzhaft. Ach, nein, schmerzhaft? Ich weiß nicht. Ich hab nur viel geheult. Und das passiert doch wohl wenn es weh tut? Aber wie sich das angefühlt hat, anfühlt, kann ich gar nicht genau sagen.

Es war ein Wühlen. Aufhänger dieses Mal das Wochenende mit meinen Eltern. Ich wusste, und wollte, dass das kommen würde. Seit einiger Zeit schon hab ich gemerkt, dass ich mit meinem anfänglich ganz vehement geäußerten Wunsch, nicht in der Vergangenheit rum zu wühlen, sondern gegenwarts- und zukunftsgerichtet zu arbeiten allein nicht weiterkommen würde. Zu oft habe ich in den letzten Wochen automatisch Verbindungen von der Analyse der aktuellen Situation zur Vergangenheit hergestellt. Unwillkürlich. Sie haben sich geradezu aufgedrängt.

Das Wühlen war anstrengend. Es scheint so viel darüber zu liegen, wo ich nicht durchkomme. Nicht einmal die Gefühle kann ich genauer beschreiben, geschweige denn auch nur annähernd begründen. Ich soll ihnen nachgehen, nachspüren, nachhorchen, aber ich weiß gar nicht wie und komm nicht ran.

Ich höre mich nicht.

Komme nicht an das ran, was ich will, für mich wichtig ist, was ich fühle. Alles ist äußerlich. Erwartungen. Selbstbilder. Wünsche. Sie kommen von außen und ich weiß nicht wer ich bin, was mich ausmacht und was ICH mir wünsche.

Er will mir helfen, mich unterstützen dabei. Hoffentlich schafft er das. Und hoffentlich schaffe ich das.


Danach musste ich erstmal ein paar Minuten einfach so im Auto sitzen bleiben bevor ich losfahren konnte, mich sammeln. Der anschließende Latte Macchiato und das Buch im Café taten gut. Als später die Wohnungstür hinter mir zu ging, rollte die erste Träne. Wenige Worte eines Liedes im Radio ließen die Bäche strömen.
Er sagt immer, Weinen ist in Ordnung. Das mag schon sein, aber ich fühl mich unwohl dabei. Ich kann besser für mich allein heulen.


gonzo25, 03. Mär 06
Wissen Sie, dass es Menschen gibt, die sich oft wünschen, einfach mal heulen zu können ? Oder ein Kopfkissen verprügeln? Oder in den Wald fahren und einen Baum anschreien?
Eine positive Form der Aggression, interessantes Thema, wenn man die negative Form bereits kennen lernen musste, eine Reaktion des Körpers, die Sie vor schlimmerem schützt.
Heulen Sie, schreien Sie..."Weinen ist in Ordnung"!

ella, 03. Mär 06
Aggression? Hm. Gegen wen denn?

Vielleicht auch einfach nur Traurigkeit. Oder manchmal etwas Verzweiflung.

Ach, und ich hasse diese Weinerlichkeit einfach! Wenn es manchmal schon reicht, dass jemand lieb fragt wie es mir geht und ich mit den aufkommenden Tränen kämpfe.

Ja, sicher, Weinen ist in Ordnung ... aber besser allein daheim.

gonzo25, 03. Mär 06
Hmm, die Frage "gegen wen" hab ich mir nie gestellt. Wichtig ist für mich, da sie nicht unterdrückt wird, die Aggression, und sich dadurch nach innen richtet, gegen den eigenen Körper sozusagen. Googlen Sie mal nach dem Herrn Dahlke in Kombination mit Aggression, mir hat es geholfen!

ella, 03. Mär 06
Oh, mindestens eines der Bücher, "Krankheit als Weg", steht zuhaus bei meiner Mutter im Regal. Ich muss gestehen, dass ich dabei ja sofort eine Abwehrhaltung eingenommen habe. Diese Art Bücher finden sich daheim en masse. Ich könnte da zahlreiche Titel runterbeten. Und es ging soweit, dass nicht nur, ich trau mich kaum es zu sagen, meine Allergie psychologisiert wurde, sondern bald gar jeder Schnupfen ... und es hat mich damals mordsmäßig genervt - konnte man den nicht einmal mehr niesen, ohne dass ein Konflikt mit den Eltern als Grund vermutet wurde?!

Ich bin mir auch nicht sicher, ob es dabei um Aggression geht. Ist verzweifeltes Schluchzen aggressiv oder Ausdruck von Aggression?

Ich mein, ich bin sicherlich nicht frei von Aggressionen, insbesondere in der aktuellen Phase nicht. Nein, wahrlich nicht! Da gibt es Mensch, oder auch Taten und Aussagen, die mich so ungeheuer wütend und aggressiv machen, dass es mir fast Angst macht.
Aber in dem Zusammenhang werde ich mir das Buch vielleicht - trotz meiner eher ablehnenden Haltung zu dieser Literatur - vielleicht mal zu Gemüte führen. Danke. ;-)

hace_1, 05. Mär 06
Ich kann besser für mich allein heulen ...
Vielleicht ist das Dein Problem, Ella. Für Dich alleine heulen bedeutet ja auch irgendwie, dass Du nur immer zu dicht machst; dass Du Dich vor allem und jeden verschließt. Niemanden wirklich an Dich rankommen läßt. Und natürlich auch alles in Dich reinfrißt und versuchst, mit allem Scheiß alleine zurecht zu kommen. Vielleicht irre ich mich gerade, dennoch verstehe ich Deine Worte momentan so.

Sorry wenn ich Dir jetzt sage, dass Du mich da total an Anja erinnerst. Aber die ist auch diese Schiene gefahren. Und es gab da diesen Moment, wo ich sie "gefühlstot" schimpfte; was sie jedoch vehement verneinte. Wie dem auch sei: Daran, und in letzter Konsequenz das sie mich als so eine Art Fremdkörper ansah, zerbrach auch unsere Beziehung. Vielleicht, nein, ganz bestimmt sogar, hätte ich auch gerne mal mit ihr zusammen geheult; ich bin mir sicher, dass hätte einander näher gebracht. Sie aber sah dass leider etwas anders.

Was mich auch wieder zu dieser abstruden Erkentniss bringt, dass es leichter ist miteinander zu ficken als sich füreinander zu öffnen. Wenn jeder in seiner eigenen Welt hocken bleibt und den anderen außen vorläßt, endet das logischerweise im Nichts. Und das ist es doch, aus dem Du raus willst, oder nicht?

Was ich bei allem Wollen wirklich nicht verstehe, ist, dass Du nicht in der Lage bist an das ran zu kommen, was Du willst, was für Dich wirklich wichtig ist. Das Du Dich nicht hörst und das alle Wünsche und all der andere Scheiß, der so ein Leben ausmacht, für Dich von außen kommt. Für mich kommt dieser ganze Spam von innen, aus mir selber heraus. Ich weiß, dass mich 95% Scheiße ausmachen; der Rest sind Alk und Drogen. Ich weiß, das ich mir vielleicht den nächsten Tag wünsche; vielleicht auch nicht. Ich weiß, das ich einmal Gina Wild ... äh, Claudia Schaffrath ficken wollte. Und ich weiß, das Wühlen nichts bringt und noch nie was gebracht hat. Und genau wie Du kann auch ich keine Gefühle beschreiben oder wäre in der Lage, sie näher zu begründen. Wer kann das schon? Ich weiß, das ich manchmal wieder ein kleiner Junge sein möchte, so voller Leben und Sonne, mit einem leeren Herzen und viel Platz für alles, was da kommen mag. Und ich weiß, dass ich mal wieder zu viel gesoffen habe und wahrscheinlich hier nur Dünnes labere. Dennoch habe ich es getan. Scheiß drauf ...

Ja, es stimmt: Weinen ist in Ordnung; zusammen weinen ist in Ordnunger ...

ella, 06. Mär 06
Ich hab meine Worte nochmal gelesen. Ja, man kann sie wirklich so verstehen. Doch ich glaube, dass ich was anderes meinte. Ich hab da gestern Abend noch eine ganze Zeit drüber nachgedacht, über das Weinen.

Es gab auch ne ganze Reihe Momente, wo ich mit jemand anderem zusammen hemmungslos geheult habe, wirklich hemmungslos, ohne irgendein komisches Gefühl dabei.
Damals als ich mit Thomas aus Berlin zurück kam und er entschieden hatte, dass er zu seiner Frau zurück wollte. Wir haben zusammen auf dem Bett gelegen und gemeinsam geheult und uns dabei in den Armen gelegen.
Und im letzten Sommer, bei den enttäuschenden und schmerzhaften Gesprächen mit IHM.
Auf der Couch bei einem guten Freund im letzten Sommer.
Oder grad vor ein paar Monaten, am Tag als ich die Kündigung bekommen habe, bei meiner Nachbarin gesessen habe und geschluchzt, geheult und geschrien habe. Das war ok.
Ja, es gab viele solcher Momente, in denen ich geheult habe, ohne ein dummes Gefühl dabei zu haben.

Vielleicht hat das mit der Situation, dem Grund des Weinens und den Personen, die dabei sind, zu tun, ob es für mich in Ordnung ist oder nicht. Es ist z.B. ok für mich, wenn es einen akuten aktuellen Anlass gibt, oder wenn Menschen dabei sind, die mir nahe sind, wo es auch möglich ist, in den Arm genommen zu werden.

Beim Psycho ist das eine andere Situtation. Da heult man in einer Distanz - die für mich das Heulen dann noch schlimmer macht. Aber auch da wäre es aus einem aktuen Anlass für mich vermutlich ok, z.B. als ich drei Tage nach der Kündigung da war, doch da war ich erstaunlich gefasst.

Aber wenn es eben eine solche akute Situation grad nicht gibt, oder die Menschen, die anwesend sind, mir nicht so nah sind, dass sie mich in den Arm nehmen können, dann kann ich alleine einfach freier heulen.


Was die Wünsche und das Äußere und Innere angeht, da glaub ich nicht, dass alles von außen kommt, im Sinne von Verantwortlichkeit, die dann außen liegt. Es ist nur so, dass ich verlernt habe, zu erkennen was wirklich aus mir heraus kommt oder in mir drin ist, und was ich nur für meine eigenen Wünsche halte, weil ich halt gelernt habe, dass "man" sich sowas wünscht, dass sowas gut und erstrebenswert ist. Und ich weiß auch noch nicht, wie ich dahin komme, das wieder unterscheiden zu können.

hace_1, 06. Mär 06
Liebe Ella,

eigentlich wollte ich Dir antworten. Eine Antwort auf unseren letzten Wortwechsel. Doch ich glaube, dass ich das atm nicht kann. Ich … ach scheiße …

VORHANG …

Weißt Du, gerade habe ich Dresden geschaut, und irgendwie ist alles Denken, Fühlen und Labern erfroren. Ich bin gerade eine Mumie. Steinern. Scheintot …

Ich will Dir nur schnell mitteilen, dass ich gerade jetzt, in diesem Moment, verstehe, was Du meinst mit … dass das Heulen okay ist, wenn man psychisch voll getroffen ist; dass es iO ist, wenn man für sich entschieden hat, dass es mit den Personen zu tun hat, die an der „ganzen Sache“ beteiligt waren …

( Aus dem Off ): Ehrlich, ich hätte nie im Leben gedacht, dass mich etwas Derartiges zu Tränen rührt. Es ist – war – nur ein Film. Und dennoch … Ich habe dagesessen, auf meiner Couch, die Tüte Chips neben mir, den Whisky, die Prince Denmark … UND MIR KAMEN DIE TRÄNEN.

Ich weiß nicht, weshalb ich Dir das erzähle. Ich tue es halt.

P.S.: Vielleicht habe ich mich in Felicitas Woll verliebt, die die Hauptdarstellerin gab.

P.p.s.: aber ich weiß: da bin ich nicht der einzige …

ella, 06. Mär 06
Hace, DAS verstehe ich voll und ganz. Ich habs auch gesehen und mir ging es genauso. Die Tränen rollten nur so in strömenden Bächen.
Dachte, es läge an meiner derzeitigen Weinerlichkeit ... aber wenn es mir nicht allein so ging, dann war da wohl doch etwas anderes ...

hace_1, 07. Mär 06
... da war etwas, dass ich mein ganzes Leben lang schon suche. Da waren Gefühle, Stimmungen, Schwingungen ... Etwas, das man Liebe nennt.
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